Nein, das ist nicht die Lenne, das ist der Lech in Tirol, der letzte Wildfluss in den nördlichen Kalkalpen. Wie die Lenne ist der Lech ein Salmonidengewässer.
Auf dem Foto kann man gut erkennen, was einen unverbauten Fluss dieser Größe ausmacht: Die Strömung, am Prallhang stärker, am gegenüber liegenden Gleithang schwächer. Dieser Fluss plätschert und
strudelt über Steine. Man kann hören, wie das Wasser mit Sauerstoff angereichert wird. Und da sind die ausgeprägten Kiesbänke, nicht nur im eigentlichen Flussbett, sondern auch am Ufer. Sie
werden bei jedem Hochwasser neu gestaltet. Flache Kiesbänke werden häufig überspült und tragen keinen Bewuchs (Bildmitte), während höher gelegene Kiesbänke nur hin und wieder überspült werden und
erste Sträucher Fuß fassen konnten (Bild-Vordergrund). Dieses wandernde Geröll heißt in der Fachsprache Geschiebe.
In der Lenne unterbrechen Wehre nicht nur die Durchgängigkeit für Fische, sondern auch den Nachschub an Geschiebe. Der Fluss gräbt sich tiefer ein, die Ufer werden steiler und bieten bei
Hochwasser den Tieren keinen Rückzugsraum vor der Strömung. Dafür sorgt auch die starke Bebauung der Aue sowie Begradigung und Ausbau des Flussbettes der Lenne.
Das zweite Foto aus der Zeit um 1900 zeigt die Lennefurt mit der Vor-Vorgängerbrücke bei Grevenbrück. Das Flussbett ist sicher breiter als 50 Meter mit einer Kiesinsel in der
Mitte. Heute ist die Aue vollständig überbaut und der Fluss streckenweise in einen mit Metallwänden verstärkten Kanal gezwängt.
Durchschnittlich sind 55 % der Lenneaue überbaut mit Siedlungen, Industrie- und Gewerbeflächen sowie Verkehrswegen. Auf der Strecke zwischen Schmallenberg und der Mündung in die Ruhr sind 46
Wehre in der Lenne angelegt. Somit sind 32 % des Gefälles aufgelöst. Die Rückstaustrecken summieren sich auf eine Gesamtlänge von 14,6 km ( 13,7% des betrachteten Lenneabschnittes), die
Restwasserstrecken (= Ausleitungsstrecke) auf eine Gesamtlänge von 25,7 km ( 23,8 % ). Somit sind 37,5% der Lenne derzeit in ihrem Fließverhalten massiv beeinträchtigt. (Angaben aus:
„Wiederherstellung der Durchgängigkeit der Lenne“; Gutachten der Universität Gesamthochschule Essen; 1999)
Strömung ist der maßgebliche ökologische Faktor für das Leben im Fluss. Die Spezialisten unter den Flussbewohnern sind genau daran angepasst und überstehen selbst katastrophale Ereignisse – wenn die Umgebung stimmt. Frei fließende Strecken (Äschenregion) sind nur noch Inseln in der Wasserlandschaft, mit allen Folgen, die für eine isolierte Lebensgemeinschaft zu erwarten sind: die Artenvielfalt schwindet. Stark spezialisierte Arten können in der Lenne nicht mehr nachgewiesen werden. Die Abbildung zeigt das Schema eines Ausleitungskraftwerks.
In den von Stauwerken beeinflussten Bereichen verändern sich Temperatur, Sauerstoffgehalt und insgesamt der Chemismus des Wassers, (was auch Folgen für die unterhalb liegenden Fließstrecken haben
kann). Es siedeln sich Stillwasserorganismen an, die der Strömung der Lenne sonst nie gewachsen wären.
Fließgewässer sind in der Regel offene Systeme, die bei zahlreichen wichtigen abiotischen Faktoren Gradienten im Längsverlauf haben. Die natürlichen Lebensgemeinschaften sind auf diese
kontinuierlichen Veränderungen eingestellt. Stauhaltungen zerstören diese in langer Entwicklung fein ausbalancierte System. Die Unterbindung der Wanderwege für die Wassertierwelt kann durch
moderne Fischaufstiege in ihren negativen Folgen gemildert oder vielleicht sogar ganz ausgeglichen werden. Die Veränderungen der Habitatbedingungen, des Fluss-Kontinuums, lassen sich
dagegen kaum ausgleichen. Eine Lösung wäre nur die Beseitigung des Eingriffs, also des Aufstaus. Sie sollte daher soweit wie möglich für jeden Einzelfall angestrebt werden.
Jetzt könnte man als Klimaschützer meinen, man müsse noch mehr Wasserkraftwerke errichten. Aber historische Anlagen besetzen längst alle relevanten Plätze. Hier muß man die aus Klimasicht
wünschenswerte Erzeugung von Wasserkraft gegen die Folgen des ökologischen Eingriffs abwägen.
Das Umweltbundesamt meint: „Da das Wasserkraftpotenzial in Deutschland weitgehend ausgeschöpft ist, und nur mit einem begrenzten Zubau zu rechnen ist, sind gewässerökologische Maßnahmen
vorwiegend an der Vielzahl kleiner und mittlerer Wasserkraftanlagen im Bestand erforderlich.“ Der Gesetzgeber muss die Verhältnismäßigkeit wahren.
„An der Lenne zwischen Schmallenberg bis zur Mündung in die Ruhr erzeugten 1999 18 Wasserkraftanlagen Strom mit einer kumulierten Leistung von ca. 8.400kW pro Jahr. Sie entlasten damit die Umwelt
um 25.359 t CO2 / Jahr. Der durch Wasserkraft an der Lenne im Märkischen Kreis erzeugte Strom deckt den Jahresbedarf von 4.094 durchschnittlichen Einwohnern des Märkischen Kreises. Bei dieser
Rechnung ist nicht nur der private, sondern auch der öffentliche und industrielle Stromverbrauch berücksichtigt. Die Wasserkraftanlagen an der Lenne im Märkischen Kreis decken somit derzeit 0,89
% des Strombedarfs.“ (Angaben aus: „Wiederherstellung der Durchgängigkeit der Lenne“; Gutachten der Universität Gesamthochschule Essen; 1999, S. 4) Im Kreis Olpe dürfte die Ausbeute ähnlich
gering ausfallen.
Energiesparmaßnahmen sind sicher effektiver, als der weitere Ausbau kleiner Wasserkraftanlagen, der mit Zersörung der letzten intakten Fließgewässer einhergeht.